NZZ: Ist Islamic Banking krisensicher?

Auch die NZZ sieht im Islamic Banking, trotz einigen systembedingten Schwächen, eine valable Alternative zum heutigen Finanzsystem.


Auszug aus dem Artikel in der NZZ vom 23. Oktober 2008

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Anlagefonds, die sich an den Vorgaben der Scharia ausrichten, leiden nicht direkt unter der Wertminderung der Bank- und Finanzanlagen. Ihre Performance lag deshalb in den letzten Monaten deutlich über den Vorgaben der Branchen-Benchmarks.

Ausser dem Bedürfnis, sich innerhalb der ethischen und moralischen Kategorien der Scharia zu bewegen, gab es in den Jahren vor Ausbruch der Finanzkrise wenig Gründe, Geld nach den Regeln des Islam anzulegen: Die von der Rating-Agentur Standard & Poor’s berechneten Global Sharia Indices entsprachen zwischen 2000 und dem Spätsommer letzten Jahres ungefähr den Benchmarks konventioneller Anlagen. Die Wende erfolgte – vgl. Grafik – kurz nach den ersten Liquiditätsproblemen am Interbankenmarkt. Seit gut einem Jahr rentieren die nach den Regeln der Scharia vorgenommenen Anlagen deutlich besser. Die Scherenbewegung erklärt sich in erster Linie aus der enttäuschenden Marktperformance der multinational tätigen Banken und Finanzgesellschaften, die wegen ihrer Zinsgeschäfte und ihrer fremdfinanzierten Operationen den Vorgaben islamischen Rechts nicht entsprechen und daher für Scharia-Anlagen nicht in Frage kommen.

Grosse Mengen an Petrodollars

Noch spielt Islamic Banking im Vergleich zu traditionellen Anlageformen eine untergeordnete Rolle. Das Vermögensvolumen der islamischen Fonds dürfte gegenwärtig erst etwa 500 Mrd. $ – 1% der weltweiten Finanzanlagen – erreichen. Das Wachstum – seit 2004 jährlich 15% bis 20% – ist jedoch beachtlich und sollte nach Meinung der Fachleute (NZZ 25. 6. 08) anhalten. Auch Alka Banerjee von Standard & Poor’s Index Services in New York nimmt an, dass die Dynamik durch die Finanzkrise nicht zu brechen ist. Sie vertraut in erster Linie auf die grossen Mengen von Petrodollars, ferner auf die verbesserten Marktkenntnisse der Finanzoperateure im islamischen Raum und das wachsende Bedürfnis privater Anleger, auch bei Vornahme von Finanzoperationen religiösen Geboten zu entsprechen. Ausserdem stellt sie fest, dass sich die Nachfrage nach Scharia-Produkten zusammen mit den intensiveren Migrationsbewegungen der letzten Jahre über den nahöstlichen und südostasiatischen Raum hinaus nach den USA und Europa verlagert habe. Philipp Wackerbeck von der Strategie- und Technologieberatung Booz & Co. hat an einer Medienkonferenz am Mittwoch in Zürich überdies an die wachsende Neigung staatlicher Autoritäten oder öffentlicher Institutionen erinnert, Finanzierungen und Geldanlagen nach den Regeln des Islam durchzuführen. So seien die Versicherungsgesellschaften Saudiarabiens kürzlich per königliches Dekret angewiesen worden, nur noch Finanzanlagen vorzunehmen, die den ethischen und moralischen Geboten des Islam entsprechen.

So dynamisch wie die Nachfrage entwickelt sich gegenwärtig auch das Angebot: Laut Booz & Co. sind allein in den letzten beiden Jahren über fünfzig neue islamische Banken und Fonds gegründet worden. Dazu kommen die Umwandlung konventioneller zu islamischen Banken (z. B. die Dubai Bank) und die Öffnung sogenannter Islamic Windows durch konventionelle Banken. Darunter befinden sich auch die beiden Schweizer Marktführer UBS und CS und einige Schweizer Privatbanken, die sich bisher aber hauptsächlich auf die Vereinigten Arabischen Emirate und Singapur konzentriert haben. Damit hätten sie ihr Expansionspotenzial im Private Banking und Wealth Management laut Carlos Ammann, Geschäftsleiter von Booz & Co., aber erst ansatzweise erschlossen; weitere, noch kaum genutzte Möglichkeiten schlummerten in Saudiarabien, Kuwait und Indonesien.

Diffizile Abgrenzungsfragen

Der Aufschwung ist umso eindrücklicher, als das Islamic Banking unter einigen systembedingten Schwächen leidet. So ist das extrem expansive Geschäft mit Sukuks (eine Art Anleihensverbriefungen) im vergangenen März wegen angeblicher Inkompatibilität mit dem Glauben durch eine religiöse Dachorganisation zur Überwachung der Geschäfte islamischer Finanzinstitute stark zurückgebunden worden. Die Frage, was mit dem Glauben kompatibel sei und was nicht, verursacht zwischen konservativen und eher liberal ausgerichteten religiösen Aufsichtsorganen immer wieder Grundsatzdiskussionen. Wackerbeck ortet bei den Scharia-Aufsichts-Organen denn auch einen eigentlichen Flaschenhals im System. Im ganzen islamischen Raum seien gegenwärtig nur knapp 50 Autoritätspersonen zur Klärung der Kompatibilitätsfragen zugelassen. Der Engpass lasse sich in absehbarer Zeit nicht überwinden, weil die religiöse, rechtliche und finanzorientierte Ausbildung dieser Autoritätspersonen bis zu 18 Jahre dauern kann.

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